Digital vs. Analog

Heute bekam ich eine Frage gestellt, die mir klar machte, wie sehr bestimmte Dinge miteinander zusammenhängen und wie lang eine Antwort auf eine kurze Frage ausfallen kann, wenn man einmal ernsthaft darüber nachdenkt.

Worüber?
Über den Unterschied zwischen digital und analog.
Fangen wir mal ganz vorne an:

Zu erklären, was »digital« bedeutet, ist relativ einfach, weil es sich erstaunlich direkt aus der Wortbedeutung ableiten lässt. Digital ist, wenn ich etwas in digits, Zahlen, ausdrücke, in der Praxis sind das Nullen und Einsen.
Damit ist auch schon implizit, was digital nicht bedeutet:
nämlich, dass es weniger authentisch sei als irgendeine andere Form, die Realität abzubilden. Der Begriff »analog« stellt uns nun die semantische Falle, dass das Wort eine Analogie behauptet. Soweit so richtig, jedoch steht bei der Verwendung des Begriffes die Unterstellung im Raum, diese Analogie sei mit anderen Verfahren nicht gegeben.

Audiotechnik betreffend ist das Gegenteil der Fall.

Es entspricht den Tatsachen, dass das Vorhaben, ein Klangereignis so dokumentarisch wie möglich abzubilden umso eher erreicht wird, je eher ein Signal digitalisiert wird und je mehr Bearbeitungen und Umformungen wiederum digital erfolgen, weil das die verlustloseste Form der Übertragung darstellt. In der Aufzeichnung klassischer Musik wird das so gehandhabt, weil es dort auf möglichst unverfälschte Dokumentation ankommt.

Nun wäre es naiv, anzunehmen, dass man es bei dieser Erkenntnis bewenden lassen könne.

Die grundsätzliche Entscheidung, die jeder Aufzeichnung der Realität zugrunde liegt ist ja immer die, ob ich das Hauptaugenmerk auf die Übertragung der Form oder des Inhaltes lege.
Form und Inhalt zu übertragen kann nur ohne Transformation geschehen, ich müsste also die Hörer selbst neben das eigentliche Klangereignis stellen (auf die Aufnahme verzichten). Man könnte in diesem Fall etwas salopp sagen, dass die Form im real stattfindenden Klangereignis besteht und der Inhalt in dem, was dieses Ereignis in den Hörern auslöst.

Jede Verpflanzung dieses kommunikativen Aktes bringt zwingend eine Veränderung des Inhaltes mit sich, also dessen, was das Klangereignis in seinen Hörern auslöst. Als für die Aufzeichnung, Konservierung und Wiedergabe Verantwortliche (Fotografen, Maler, Tontechniker, Poeten, etc.) müssen wir also entscheiden zwischen dem ohnehin nur sehr begrenzt möglichen Vorhaben der formal objektiven Darstellung und der Aufzeichnung und Wiedergabe dessen, was wir für die Essenz dessen halten, was da geschieht.

Das ist freilich ein alter Hut. Wir alle wissen das.

Was mich an diesem Punkt interessiert ist, was es für die Unterscheidung der Kriterien »analog« und »digital« bedeutet.

Die Antwort auf die Frage nach dem Unterschied fällt also etwas verzwickt aus:

Erstens ist Digitaltechnik in Grunde »analoger« als die sogenannte Analogtechnik, in dem Sinne, dass die Analogie, ich meine damit hier die Korrelation zwischen dem eigentlichen Ereignis und dessen Aufzeichnung/Wiedergabe in besonders hohem Maße gegeben ist.

Für technisch Interessierte sei hier kurz eingeschoben, dass bei der Digitalisierung zwei Haupartefakte entstehen: der eine besteht im Quantisierungsrauschen, das sich mittels großer Wortbreiten in den unhörbaren Bereich verlagern lässt und bei geringen Wortbreiten mit Dithering erfolgreich verdeckt werden kann. Der andere betrifft die räumliche Einordnung eines Stereosignals – die Zeitabstände, die hier für das Ortungssystem unseres Gehirns eine Rolle spielen, liegen in einem Bereich, der sich bei 44.1 kHz nicht zureichend abbilden lässt. (Die eigentlichen Rasterungsartefakte dagegen, die aufgrund einer Art Moiree-Effekt aus der Rasterfrequnez bei 44.1 kHz so gerade eben in den hörbaren Bereich spiegeln, spielen dagegen eine untergeordnete Rolle.) Beide Einwirkungen lassen sich durch Verwendung hochwertiger Wandler und hoher Abtastraten auf ein erstaunlich minmales Maß begrenzen. Die sogenannte analoge Übertragung bringt dagegen an jeder Schnittstelle und Bearbeitung eine Vielzahl von Veränderungen mit sich, die von Verzerrung, Klirrfaktor, Sättigung, Einstreuung bis Phasenverschiebung so viele Vorgänge umfassen, dass ich hier darauf verzichten muss, sie auch nur umfassend aufzuzählen, geschweige denn zu erklären. (tatsächlich beschäftigt sich ein großer Teil unserer digitalen Bearbeitungen damit, genau diese Ungenauigkeiten in Signalübertragung zu simulieren, also faktisch die Korrelation zwischen Input und Output zu verringern.)

Zweitens ist es nicht die eigentliche Korrelation, die den subjektiven Eindruck eines Klangereignisses transportiert, wie im obigen Tech-Talk schon anklingt. Um den Eindruck zu vermitteln, den eine bestimmtes Ereignis auf mich macht, muss ich zwingend den Betrachterstandpunkt mit einbeziehen. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass ich eine in großer Lautstärke genossenes Punkkonzert nur dann erschöpfend darstellen kann, wenn ich die Eingrenzung der Dynamik – die beim genannten Konzert durch die schiere Unfähigkeit meiner Ohren, mit der Lautstärke umzugehen, entsteht und den subjektiven Eindruck von Kraft vermittelt – künstlich herstelle.
Das erklärt den hohen Stellenwert von (Dynamik-)Kompression in heutiger Musikproduktion.
Eine Verfremdung geschieht streng genommen auch, wenn ich Mikrofone im Nahfeld und im Diffusfeld aufstelle und im Mix kombiniere, weil tatsächliche Hörer nun mal nicht an zwei Orten gleichzeitig stehen können. Wir wollen aber sowohl die Präsenz des Klangereignisses als auch die Größe das umgebenden Raumes darstellen und greifen daher zu dieser objektiven Verfremdung im Namen der subjektiven Authentizität.

Die Antwort auf die Frage nach dem Unterschied zwischen digital und analog fällt also ebenso einfach aus:
Es hat sich in der Praxis herausgestellt, dass bestimmte Verfärbungen, die die sogenannte analoge Technik mit sich bringt, subjektiv als angenehm empfunden werden und darüberhinaus den subjektiven Eindruck vermitteln, natürlicher zu klingen.
Objektiv natürlicher freilich ist die digitale Technik.
Da es bei Musik grundsätzlich nicht ratsam ist, die Musikhörer und ihre subjektive Wahrnehmung außer Acht zu lassen, ist die sogenannte analoge Technik gerade wegen ihrer »Unaufrichtigkeit« also unbedingt vorzuziehen.

Über kunstproduktion

Musikproduzent, Studio Nord Bremen. geboren 1974, Studium der Kunst und Musik, zahlreiche Albumproduktionen in London, Hannover, Hamburg, Bremen.
Dieser Beitrag wurde unter Musikproduktion abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar